Forschungsbericht - Evaluation des AÜG

Am 21. Dezember 2022 veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Ergebnisse der Evaluation des zum April 2017 weiterentwickelten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Die Evaluation des Gesetzes hatte zum Ziel, Umsetzung und Wirksamkeit der damaligen Neuregelungen auf Grundlage wissenschaftlicher Daten und Methoden zu untersuchen. Der vorliegende Forschungsbericht umfasst 439 Seiten.

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Auszugsweise Wiedergabe der Zusammenfassung, des Schlussfazits und der Gesamtbewertung (siehe Seite 371 ff.)

Mit der Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, die im April 2017 in Kraft trat, verfolgte der Gesetzgeber verschiedene Ziele: Die Leiharbeit sollte auf ihre Kernfunktion fokussiert, in dieser aber gleichzeitig auch gestärkt werden; die Stellung der Leiharbeitskräfte sollte, insbesondere hinsichtlich der Löhne, aber auch in Bezug auf die Chancen am Arbeitsmarkt, verbessert werden. Zudem sollte die Tarifautonomie gestärkt werden, indem man den Tarifpartnern Spielräume zur Regelung bestimmter Parameter der Arbeitnehmerüberlassung, etwa bei der Überlassungshöchstdauer oder bei Equal Pay, einräumte. […]

Die Ergebnisse zeigen insgesamt, dass die Ziele der Gesetzesreform nur teilweise erreicht werden konnten. Zum Teil liegt dies auch daran, dass die einzelnen Ziele in unterschiedliche Richtungen weisen. Die Absichten und Zielsetzungen, die der Gesetzgeber mit der Neuregelung des AÜG verfolgt hat, werden zwar von vielen Akteuren insgesamt als grundsätzlich sinnvoll eingeschätzt, die einzelnen Regelungen und deren Durchführung werden jedoch insgesamt als zu komplex und nur eingeschränkt wirkungsvoll bewertet. Insbesondere in den beiden Kernbereichen der Reform, den Neuregelungen zur Überlassungshöchstdauer und zu Equal Pay, wird von vielen Seiten Nachbesserungsbedarf gesehen. Die relativ geringe Reichweite der Effekte und die oft nur geringe oder nicht nachweisbare Effektstärke, die sich in vielen Ergebnissen der Evaluation zeigen, sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass insgesamt nur eine begrenzte Anzahl von Personen und Betrieben überhaupt von den Neuregelungen betroffen ist, entweder weil die „Neuregelungen“ teils bereits seit Langem in der Praxis oder aufgrund anderer Vorschriften umgesetzt werden oder weil die Eingriffstiefe im Vergleich zum Vor-Reform-Zustand insgesamt zu gering gewählt wurde. Aus diesen Gründen halten sich die Effekte der Reform – seien es erwünschte oder unerwünschte – insgesamt in einem überschaubaren Rahmen.

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Die AÜG-Reform hatte zum Ziel, die Leiharbeit auf ihre Kernfunktion der zeitlich begrenzten Einsatzdauer zu fokussieren. Daher wurde eine gesetzliche ÜHD von 18 Monaten eingeführt. […]

Eine Wirkung der AÜG-Reform auf die Einsatzdauern von Leiharbeitskräften im Sinne der Ziele des Gesetzgebers ist dennoch zumindest teilweise vorhanden. Es gibt nach der AÜG-Reform deutlich weniger sehr lange Einsätze und die durchschnittliche Einsatzdauer ist ebenso reduziert. Wirkungsanalysen auf Grundlage der standardisierten Befragungen, die auf der Betrachtung von Leiharbeitskräften, Entleih- und Verleihbetrieben mit unterschiedlich starker Betroffenheit von der AÜG-Reform beruhen, bestätigen einen signifikanten und negativen Effekt der AÜG-Reform auf die Einsatzdauer, d.h., die Einsatzdauern haben sich durch die AÜG-Reform reduziert.

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Was die Entlohnung der Leiharbeitskräfte betrifft, so zeigt sich in den Analysen durch die AÜG-Reform keine Verbesserung. Das geht übereinstimmend aus nahezu allen vorliegenden Datenquellen hervor. Die Gründe dafür liegen insbesondere in der geringen Betroffenheit der Leiharbeitskräfte von der EP-Regelung. Zwar fordert die AÜG-Reform Equal Pay grundsätzlich ab dem ersten Tag. Von diesem Grundsatz kann jedoch durch oder aufgrund eines Tarifvertrags abgewichen werden, wovon in einem Großteil der Fälle Gebrauch gemacht wird. Die Tarifbindung der Betriebe der Arbeitnehmerüberlassungsbranche liegt bei über 80 %, die Arbeitsverhältnisse der Leiharbeitskräfte selbst unterliegen sogar noch häufiger einem Tarifvertrag. In diesen Fällen gilt Equal Pay daher häufig erst ab dem neunten Monat; wenn nach einem BZTV bezahlt wird, sogar erst nach 15 Monaten.

Berücksichtigt man die üblichen Dauern der Leiharbeitseinsätze, ist die Folge, dass nur wenige Leiharbeitskräfte bei ihrem Einsatz überhaupt Anspruch auf Equal Pay haben und demnach von den Equal Pay Regelungen der Reform betroffen sind: Nur etwa 20 % der Einsätze dauerten vor der Reform länger als neun Monate, wurden unterhalb des EP-Niveaus vergütet und erhielten keine Branchenzuschläge – eine Voraussetzung, um Equal Pay nach neun Monaten überhaupt zu erhalten. Weitere 6 % aller Einsätze waren nach 15 Monaten betroffen, da die betroffenen Personen Branchenzuschläge erhielten und bis dahin noch im Einsatz waren. Sie erhalten dann ein gleichwertiges Entgelt. Dies bedeutet, dass Equal Pay (ab dem ersten Tag) die Ausnahme darstellt, während für die überwiegende Mehrheit der Leiharbeitskräfte die Ausnahmeregelungen die Regel darstellen.

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Die Ergebnisse der Analysen zur Entlohnung der Leiharbeitskräfte zeigen, dass es auch nach der AÜG-Reform einen Pay Gap zwischen Leiharbeitskräften und Stammbeschäftigten gibt und dieser nicht bzw. nicht messbar gesunken ist. Das Ziel, die Entlohnung in der Arbeitnehmerüberlassung zu verbessern, konnte mit der AÜG-Reform also nicht erreicht werden. Um die Entlohnung der Leiharbeitskräfte wirksam zu verbessern, ist es notwendig, eine größere Gruppe der Leiharbeitskräfte zu erreichen, d.h. die Betroffenheit zu erhöhen und die (tariflichen) Ausnahmeregelungen stärker einzugrenzen oder zu beenden. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Schaffung tarifvertraglicher Ausnahmeregelungen dazu geführt hat, dass sich die Entlohnung für Leiharbeitskräfte mit langen Einsätzen im Mittel nicht signifikant verbessert hat. Die Stärkung der Tarifautonomie steht hier im Interessenkonflikt mit einer besseren Entlohnung für Leiharbeitskräfte.

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Gesamtbewertung (siehe Seiten 378+ 379)

Insgesamt zeichnen die hier vorgelegten Ergebnisse ein gemischtes Bild der Wirksamkeit der jüngsten AÜG-Reform im Hinblick auf die Erreichung ihrer Ziele. Zum einen gehen die Neuregelungen aufgrund ihrer hohen Komplexität mit einem hohen Aufwand bei der Implementation und mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit einher. Letztere ist eventuell sogar in der Lage, manchen Akteur vom Markt zu nehmen. Die gewollte Stärkung der Tarifautonomie hat hierbei ebenfalls einen Teil dazu beigetragen, dass Regelungen nun komplexer und fragmentiert sind. […]

Die Wirkungen der beiden prominenten Regelungen der AÜG-Reform, der ÜHD und des Anspruchs auf EP, gehen allerdings weitgehend ins Leere, da sie nur wenige Leiharbeitskräfte betreffen. Die Ursachen hierfür sind einerseits die zu geringe tatsächliche Dauer der Leiharbeitseinsätze, andererseits die aus Gründen der Stärkung der Tarifautonomie gewünschte Möglichkeit, per Tarifvertrag von den ansonsten im Gesetzestext vorgesehenen Regelungen zur ÜHD und zu EP abweichen zu können. Zwar zeigt sich in den vorgelegten Analysen eine signifikante Verkürzung der Einsatzdauern, diese ist jedoch zumindest teilweise durch Fehlanreize zu erklären. Aufgrund einer häufigeren Synchronisation der Arbeitsverträge zwischen Verleihbetrieb und Leiharbeitskraft mit den Einsatzdauern kommt es auch zu einer Reduktion der Beschäftigungsdauern. Eine signifikante Verbesserung des Lohns der Leiharbeitskräfte im Vergleich zur Stammbelegschaft, die auf die Reform des AÜG zurückzuführen wäre, lässt sich nicht beobachten.

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