Aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung von BSG und BAG zur Scheinselbstständigkeit bzw. Beschäftigung freier Mitarbeiter

Die Abgrenzung zwischen Selbstständigen (Solo-Unternehmern) und Arbeitnehmern ist oftmals nicht eindeutig. Generell gilt, dass Behörden (insbesondere DRV und Zoll) seit geraumer Zeit einen äußerst strengen Maßstab anlegen. In diesem Jahr sind daher die nachfolgenden zwei Urteile für die unternehmerische Praxis von großer Bedeutung.

Ermöglicht ein relativ hohes Honorar einer so genannten Honorarkraft die Eigenvorsorge, ist dies ein gewichtiges Indiz für ihre Selbstständigkeit, lautet in Kurzfassung das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 31.03.2017.

Link auf BSG-Urteil

Damit kreiert das BSG ein neues zusätzliches Indiz für die Ablehnung der Scheinselbstständigkeit. Neben diesem neuen Ansatz hat es selbstverständlich auch die vielen gängigen Indizien angesprochen und fallbezogen bewertet.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in seiner Entscheidung vom 27.06.2017 erstmals die Rechtsvorschrift des neu eingefügten § 611a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berücksichtigt.

… Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von dem Rechtsverhältnis eines freien Dienstnehmers durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 HGB)… Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls an. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen… Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgeblich, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben (BAG 11. August 2015 - 9 AZR 98/14 - Rn. 16). Die neu eingefügte Vorschrift des § 611a BGB spiegelt diese Rechtsgrundsätze wider…

Link auf BAG-Urteil

Wichtig ist folgende elementare Grundvoraussetzung hervorzuheben: Die Verträge wurden so, wie sie schriftlich zwischen Auftraggeber und freier Mitarbeiter (Freelancer) vereinbart waren, in der Praxis tatsächlich genau so durchgeführt, also 1:1 "gelebt".

Veranstaltungshinweis – 15. November 2017 in Göttingen: „Flexible Einsätze auf dem Prüfstand, u. a. Minijobber und Freelancer“

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